Pflasterfugen

Wir haben sie täglich unter unseren Sohlen, sie sind in unseren Städten und Dörfern allgegenwärtig, werden aber kaum als etwas Besonders beachtet: die Pflasterfugen. Dabei sind sie erstaunliche Biotope.

Das Leben in den Pflasterfugen ist hart, nur diejenigen Pflanzen und Tiere können überleben, die sich an die Extrembedingungen anpassen können. Zunächst ist ja nicht viel Platz in den engen Fugen. Nur wer klein ist und bleibt, passt hinein. Zudem darf die Pflanze nicht hoch hinaufwollen, denn alles, was über die schmalen Schlitze hinausragt, wird durch den unbarmherzigen Tritt der Schuhe zermalmt – da ist dann auch gutes Regenerationsvermögen gefragt.

In den Fugen haben wir in den Zwergengarten der Botanik vor uns. In den Ritzen füllen den Platz oft Teppiche aus kleinen Moosen, die es schaffen, auf dem wenigen, mühsam zusammengesammelten Feinmaterial ihre winzigen Körper wachsen zu lassen. Das Silber-Birnmoos oder das Purpurmoos sind solche zähen Spezialisten. Zwischen den Moosstämmchen keimen dann Blütenpflanzen – auch sie nur Winzlinge: Niederliegendes Mastkraut, Roter Spörgel, Einjähriger Knäuel, Acker-Gipskraut, Scharfer Mauerpfeffer, Niedriger Vogelknöterich oder Kahles Bruchkraut. Dazwischen gibt es zierliche Gräser mit schillernden Namen wie Kleines Liebesgras, Einjähriges Rispengras oder Nelken-Haferschmiele. Selbst der Wegerich, der an Wegrändern normalerwiese große Blätter entfaltet, wagt sich in die Enge, bringt hier allerdings nur recht kleine zustande (s.o.). Die Kleine Braunelle, Blume des Jahres 2023, duckt sich manchmal in den feuchteren Pflasterlücken und deckt das schmale Biotop mit ihren eiförmigen Blättchen zu.

Bei Regen herrscht in den Fugen Hochwasser, denn sie müssen das auf die Steine fallende Wasser auch noch schlucken – kurzzeitig gibt es also Überfluss, den die wenige Erde nur schlecht speichern kann. Bald danach bricht wieder Not aus: Das Wasser ist schnell verdunstet, weil sich die Steine in der Sonne schnell aufheizen, die Spalten regelrecht „trocken kochen“ und sie in ungemütliche Plätze, ja geradewegs in eine Hitzewüste verwandeln. Den Pflanzen bleibt also nichts anders übrig, als die kurzen, feuchten Phasen zu nutzen, um ihre Miniatursprosse auszubilden. Zusätzlich müssen sie den in den Fugen lebenden Tieren, die an ihnen knabbern, trotzen. Und manche Wildbiene bohrt ihre Nistgänge zwischen die Pflänzchen.

Unter unseren Füßen herrschen also eine erstaunliche Geschäftigkeit und Vielfalt. Obwohl die Lebewesen in den Pflasterfugen zart und verletzlich erscheinen, so müssen sie doch „tough“ sein – ihnen wird nichts geschenkt. Für ihr Dasein benötigen sie viel Anpassungsfähigkeit und müssen klaglos mit den Widrigkeiten zurechtkommen. Schauen Sie doch beim nächsten Mal, wenn Sie über ein Pflaster gehen, in die Fugen. Unter unseren Füßen existiert eine kleine, vielfältige Welt, die beim genauen Hinsehen richtig interessant ist.

                                                                                       Schwarzwaldverein 25. August 2023